Das niedere Bild
 

Bilderwelten im Wandel


In der heutigen alltäglichen Bilderflut, die digital bestimmt ist und in globalen Dimensionen abläuft, vermischen sich alle nur denkbaren visuellen Elemente miteinander. Ob der diesen Prozess leitenden riesigen Geschwindigkeit wird es immer schwieriger, einzelne Elemente herauszufiltern sowie in ihrer (ursprünglichen) Bedeutung und aktuellen Wirkung zu betrachten.

Das ist noch vor wenigen Jahrzehnten anders gewesen. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts hat die überkommene „traditionelle“ Bilderwelt, trotz Fotografie, Film und Internet als umwälzenden Novationen dieses Zeitabschnittes, eine wesentliche Rolle in Erziehung, Bildung, Erlebnis, individueller Erinnerung und kollektivem Bildgedächtnis gespielt. Miteinander verwoben waren dabei stets mehrere Bereiche visueller Kultur und unter ihnen besaß unter anderem das religiös bestimmte oder zumindest mitbestimmte Bild einen maßgeblichen Stellenwert. Religiöse Symbolik aus der christlichen Ikonografie wurde als solche erkannt und zielgerichtet in die kulturellen Bereiche des Alltagslebens eingebracht: in Gestalt von medial massenhaft verbreiteter Glaubensverkündigung, aber auch als kommerzielle Werbung mit Bildern als „Verführern“, Kirchenkritik und Satire oder auch politisches Statement.

Die materiell greifbare Bildwelt der Generationen, die im 20. Jahrhundert gelebt haben, war durchsetzt von einer Vielzahl druckgrafischer Erzeugnisse, die sich nicht nur an ästhetischen aus der Kunst, der Mode, dem Film und weiteren Bildbereichen, sondern auch an religiösen Vorstellungen und Vorbildern orientiert haben, oft an einer Kombination aus beiden. Die Liste aller hierher gehörigen Formen von Bildern aller Art kann nur angedeutet werden: Bilder, insbesondere Fotografien aus dem Lebenslauf, papierene Zeugnisse von Lebensübergängen, Andachts- und Erinnerungsgrafik unterschiedlichster Art und Wandschmuck diverser Herkunft gehörten ebenso dazu wie Umschläge von Büchern, Schallplatten und CDs, Filmplakate, schulische Lehr- und Lernmittel oder auch Post- und Glückwunschkarten in millionenfacher Variation.

Das „stehende Bild“, diese materiell fassbare und früher häufig als aufbewahrenswert angesehene Abbildung, gerät innerhalb eines Prozesses seines heftig fortschreitenden Abkommens zunehmend ins Abseits. Zugunsten einer nur noch digital rezipierbaren und erhaltenen „papierfreien Bilderwelt“ sind fast alle Bilder des 20. Jahrhunderts sowie auch diejenigen, die ihnen vorausgegangen sind, unversehens zu historischen – materiellen wie visuellen – Artefakten mit starken Musealisierungstendenzen geworden. Das hohe Tempo dieser „Historisierung“ scheint kaum noch steigerungsfähig zu sein.