Das niedere Bild
 

Vom Sammeln


Ob es Insel-Bücher, Störtebeker-Hefte, handgemalte Postkarten oder gar seltene originale Kupferstichmotive sind: Wer ganz bestimmte Sachgüter aus Papier sammelt, verspürt Lust dazu und hat Freude daran (und verfügt nach Möglichkeit über die dazu erforderlichen finanziellen Mittel und Verwahrungsplätze). 

Das Sammeln von Bildern und Büchern beinhaltet wohl immer intensive emotionale Komponenten. Dabei entsteht eine spannungsreiche Problematik. Denn die eigene emotionale Bilderlust des Sammlers tritt in Kontakt mit der ehemaligen emotionalen Bedeutung von historischen Bildern, mit ihrer ursprünglich intendierten Anschauungskraft oder „stimulierten Einbildungskraft“. An dieser Stelle muss ein Reflektieren und kann ein historisches Untersuchen einsetzen.

Folgt dem Sammeln von papierenen Bildern jedweder Art und Funktion ein Ordnen und Systematisieren, dann entwickelt sich eine Sammlung häufig bereits ganz unmerklich zu einer Grundlage für wissenschaftliche Forschungen und bildet eine Quelle für neugieriges Fragen – nicht selten erst deutliche Zeit später, wie mittelalterliche oder frühneuzeitliche Bibliotheken und Sammlungen belegen, die zuweilen immer wieder neu, unter veränderten Fragestellungen, „entdeckt“ werden.

Für bestehende Sammlungen ist grundsätzlich weitestgehend unwichtig, ob und wann sie für induktive oder deduktive Analyseansätze genutzt werden: Hauptsache, sie sind gut verwahrt und ihre Entstehung und Zusammensetzung ist möglichst umfassend dokumentiert. Darin liegt der eigentliche gesellschaftliche Sinn des Museums und der Bibliothek mit ihren Sammlungen: Sie bewahren die Absichten, Wertvorstellungen und Denkweisen der Menschen, die Bilder gefertigt, besessen oder in Auftrag gegeben haben. 

Es gibt kein Theoriegebäude heutiger Wissenschaft, das nicht mit auf älteren oder zeitgenössischen Sammlungen und den empirisch nachvollziehbaren Handlungen beruht, die ihnen zugrundeliegen. Jenen theoriegeleiteten Überblicksversuchen fehlt aber zumeist das, was an dieser Stelle im Zentrum steht: die Lust und die Freude, Einzelnes, aber Zusammengehöriges, Ähnliches, Serielles, Einander-Ergänzendes, Miteinander-Geplantes erneut zusammenzuführen, zu kollektionieren und ehemalige ästhetische oder inhaltliche Einheiten dekonstruierend wiederherzustellen – und damit neue Erkenntniszusammenhänge zu gewinnen.